In der Alten Handelsbörse Leipzig ...
... fand der 3. Sächsische Naturschutztag statt.

3. Sächsischer Naturschutztag

Naturschutz und nachhaltige Landnutzung

Eindrücke vom 3. Sächsischen Naturschutztag am 15. & 16.10.1999

Von den Umweltverbänden inhaltlich getragen, von der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt bestens organisiert, wurde der 3. Sächsischen Naturschutztag einem Konfliktthema der letzten Jahre – „Naturschutz und nachhaltige Landnutzung“ – unter vielen Aspekten gerecht.

Zunächst gab es – von Michael Simpfendörfer (Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft) und Bürgermeister Holger Tschense reichlich Begrüßungsworte; Angela Zscheischler (BUND), die für die Verbände sprach, legte den Finger auch auf einige wunde Punkte: Besonders in Ländern wie Sachsen, wo die Verbände nicht mitgliederstark genug sind und die finanzielle Decke dünn ist, hat es die Wirtschaft relativ leicht, gegenüber Natur und Umwelt die Oberhand zu gewinnen, unterstützt von Arbeitslosigkeit und Zukunftsängsten der Menschen. Die Konflikte, die Naturschützer und Landnutzer auszutragen haben, sind groß und die Behörden oftmals keine zuverlässigen Partner, mitunter sogar Gegner des Naturschutzes. Ohne durchdachte Strategien, so Angela Zscheischler, steuere der Naturschutz in eine Sackgasse. Hoffnung auf Wege, die an dieser Sackgasse vorbeiführen, ließ der fesselnde Vortrag von Professor Dr. Wolfgang Schumacher (Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft Nordrhein-Westfalen) aufkommen. Wenn ein Begriff – in diesem Fall der Begriff der „Nachhaltigkeit“ –inflationärem Gebrauch zum Opfer fällt, ist es an der Zeit, ihn zu hinterfragen. Das tat Prof. Schumacher mit einem Rückblick auf historische Landnutzungsformen und einem Einblick in Projekte des Landes Nordrhein Westfalen, die zugleich Ausblick auf mögliche sächsische Perspektiven boten. Interessant zum Beispiel ein von Studenten und Landwirten gemeinsam realisiertes Projekt, bei dem eine Wiederaufforstung zugunsten der Wiederherstellung von Bergwiesen rückgängig gemacht wurde. Wichtiger noch die nordrhein-westfälische Erfahrung, dass Forstleute beziehungsweise Landwirte, Naturschützer und die betroffenen Gemeinden sich unbedingt einig sein müssen, wenn ein Projekt erfolgreich sein soll. Das setzt voraus, dass man gelernt hat, einander zu verstehen. Daran geht kein Weg vorbei und auch nicht an der Notwendigkeit ökonomischer Prinzipien, die sichern, dass sich für Landwirte der Naturschutz lohnt.

Unter dem Motto „Nur aus Visionen kann sich das Machbare entwickeln“ listete Wolfgang Riether (BUND) bestehende Widersprüche auf und gab damit eine alles in allem recht düstere Zustandsbeschreibung sowohl der Natur als auch der Chancen des Naturschutzes. Bis hin zur „Bittstellerfinanzierung“ und zur „Aufweichung bestehender gesetzlicher Regelungen durch Novellierungen, dem zögerlichen Umsetzen internationalen Rechts und dem mangelhaften Vollzug bestehenden Rechts“ durch die zuständigen Behörden reichte sein realistischer Problemkatalog. Sein finsteres Fazit: „Naturschutz ist der Luxus, den sich eine Gesellschaft in ‚fetten‘ Jahren leistet und in dürren Jahren als eine der ersten Aufgaben streicht.“ Unter dem Aspekt der Landschaftsspezifik betrachtete Dr. Olaf Bastian (Landesverein Sächsischer Heimatschutz) das Thema „Nachhaltige Landnutzung und Naturschutz“. Cordula Kinert (Sächsische Landesanstalt für Landwirtschaft) leistete mit ihrem Vortrag über Grünlandnutzung in der landwirtschaftlichen Praxis einen Beitrag zum Verständnis eben dieser Praxis und der Grenzen, die hier notwendigerweise dem Naturschutz gesetzt sind.

Für Ute Straßburg (BUND) schließen sich Naturschutz und Landnutzung aus. Sie wertete jeden Gestaltungswillen in Bezug auf die Natur als Ausdruck menschlicher Selbstdarstellung und plädierte – auch aus Rücksicht auf ökonomische Zwänge – für den Mut zur Wildnis, unabhängig davon, wo und wie diese sich gestaltet. Und diese Wildnis könnten Naturschützer am besten dadurch ermöglichen, dass sie Land kaufen. Doch anstatt großräumig Flächen zu sichern, so Ute Straßburg, versuchten die Naturschützer, einen Kulturzustand, der sich aus ökonomischen Verhältnissen der Vergangenheit ergeben hat, künstlich zu konservieren, indem sie selbst als Landnutzer auftreten und ihrerseits Natur vernutzen.

Was wir bei einer solchen Verabsolutierung des Prozessnaturschutzes verlieren würden, ging unter anderem aus Wolfgang Böhnerts (Planungsbüro) Beitrag „Aktuelle Anforderungen an die Erhaltung wertvoller Offenlandbiotope und ihre Bewirtschaftung“ hervor. Ebenso waren die Ausführungen von Günter Rötzsch (Schutzgemeinschaft Deutscher Wald), der – auch unter historischen Aspekten – über naturnahe Waldbewirtschaftung sprach, geeignet, Ute Straßburg zu widerlegen. Wie bei jedem anderen Ökosystem sei auch beim Wald eine genaue Kenntnis der Naturvorgänge nötig, um zu richtigen Schlussfolgerungen für den Naturschutz zu gelangen, und es sei illusorisch anzunehmen, dass man durch Nichts-Tun einen naturnahen Wald entwickeln könne. Mit andern Worten: Die Axt im Walde und die Sense für die Wiese – man braucht sie doch! Kathleen Bennewitz (NABU) versuchte, Berührungspunkte von Naturschutz und ökologischem Landbau theoretisch herauszuarbeiten. Klaus Götze vom Wassergut Canitz belegte, dass ökologischer Landbau in Canitz nicht nur wirtschaftlich tragfähig und umweltverträglich ist, sondern der Stadt Leipzig auch noch eine Anlage zur chemischen Aufbereitung nitrathaltigen Wassers für die Trinkwasserversorgung erspart hat. Die – vielen Naturschützern vertrauten – Nöte eines Kreisnaturschutzbeauftragten (Erhard Uhlig, Chemnitz), die Erfahrungen einer Unteren Naturschutzbehörde beim Vollzug der Eingriffsregelung (Thomas Dorn, Landratsamt Delitzsch) und auch die – bitteren – Erkenntnisse, die Reinhard Kutter (NABU) und anderen der Umgang mit dem Mitwirkungsrecht der Verbände gebracht hat, kamen am frühen Abend zur Sprache. Auch sie bewiesen die Dringlichkeit der von Wolfgang Böhnert zuvor postulierten und auf Akzeptanz gerichteten „Informationsoffensive“ durch die Naturschützer. Um überzeugen und motivieren zu können, brauchen die Naturschützer allerdings erst mal selbst eine gute Portion Optimismus. Mit Gejammer ist kein Blumentopf zu gewinnen, schon gar nicht gesellschaftliche Anerkennung. Das war eine während der Tagung immer wiederkehrende Mahnung, die sich die Naturschützer wohl oder übel hinter die Ohren schreiben müssen. Der Naturschutz hat keine große Lobby. Das beweisen auch einige Zahlen: Weniger als ein Prozent des Landeshaushaltes Sachsens fließt in den Naturschutz. 700 Millionen jährlich gibt die Bundesrepublik für den Naturschutz aus. 14 Milliarden sind es, die der Kultur zur Verfügung stehen – bei nahezu ungeteilter öffentlicher Akzeptanz.

Der Samstag gehörte dann dem Thema „Was ist uns der Naturschutz wert?“, eine Frage, die sich in diesem Fall vor allem an die Behörden und hier insbesondere an das Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft richtete.

Zunächst aber versuchte Matthias Scheffler (NABU), Wege zu einer umweltverträglichen Landwirtschaft zu weisen. Mit Verständnis für Landwirte und für die Sachzwänge, in denen sie stecken, spannte er den Bogen zur Agenda 2000 und sprach die Befürchtung aus, dass die gestellten Weichen den Zug immer noch in die falsche Richtung fahren lassen. Ansätze für Lösungen sieht er im Einwirken der Naturschützer auf die Agrarpolitik, in der Weiterführung der Förderprogramme, der Unterstützung des ökologischen Landbaus und der regionalen Vermarktung und Verarbeitung, in alternativen Konzepten, in der Information und Sensibilisierung der Verbraucher. Die vorhandenen Förderprogramme, so Matthias Scheffler, enthielten durchaus Positives, müssten aber weiterentwickelt werden. Die Agrarumweltprogramme sollten den Naturschutz ernster nehmen und zum Kernstück der Agrarpolitik werden. Manche Anregung zu ihrer Qualifizierung könne man in anderen Ländern finden, zum Beispiel in der Schweiz.

Tobias Mehnert (BUND) beschrieb nochmals die Vorteile von Landkäufen. Ein wichtiges Problem griff er auf: Sinn und – mitunter katastrophaler – Unsinn von Ausgleichsmaßnahmen. Hier bestehe nicht nur Handlungsbedarf für Naturschützer, so meinte er, es liege auch Geld buchstäblich auf der Straße. Wozu der Naturschutz überhaupt Geld braucht, wurde detailliert von Jan Schimkat dargelegt, der in diesem Zusammenhang die Aufmerksamkeit auch auf die Naturschutzstationen lenkte und am Beispiel des NABU-Naturschutzinstitutes Dresden die finanzielle Situation einer solchen Station analysierte. Der Naturschutz benötige Förderung unter anderem für die Umsetzung der sächsischen Artenschutzprogramme, für Naturschutzgroßprojekte des Bundes in Sachsen, er brauche Unterstützung bei der Erschließung von EU-Fördermitteln (was die Ausweisung von FFH-Gebieten betrifft, befinde sich Sachsen in der hintersten Ecke) sowie für Umwelt- und Naturschutzprogramme im Ausland, aber eben auch für die Stationen, deren Arbeit durch eine Sockelfinanzierung gesichert werden müsse.

Lösungswege für den „Erhalt und die Neuanlage ökologisch wertvoller Strukturelemente im Agrarraum“ zeigte Prof. Dr. Roth (Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft Jena) mit Erfahrungen aus Thüringen auf. Es braucht – so der Kern seines Vortrags – akzeptierte Konzepte für die Integration ökologisch notwendiger Schutzmaßnahmen in vorhandene Wirtschaftssysteme. Mit solchen Konzepten hat man in Thüringen bereits Erfahrungen gemacht, bei denen sich – wie in den Projekten von Prof. Schumacher – zeigte, dass Konsens und Kooperation mit den Bewirtschaftern und die angemessene Vergütung ökologisch notwendiger Leistungen der Landnutzer unerlässlich sind.

Was während der gesamten Veranstaltung besonders wohltuend auffiel und wichtig scheint: die von Verständnisbereitschaft und Sachlichkeit bestimmte Haltung fast aller Redner beider Seiten (Landwirtschaft und Naturschutz). Wenn sich dieser konstruktive Dialog auch außerhalb dieser Tagung auf allen Ebenen fortsetzen ließe, wäre eine Annäherung an das „Ideal“ eines weitgehend in den normalen Produktionskreislauf der Landwirtschaft integrierten Naturschutzes vielleicht möglich. Und wenn dann noch das von Helmut Ballmann (Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft) zum Abschluss vorgetragene „Programm für eine umweltgerechte Landwirtschaft“, das dem Naturschutz und auch seiner Finanzierung neue Möglichkeiten erschließen könnte, nicht Zukunftsmusik bleibt, sondern Realität wird – dann bleibt dem Naturschutz der Weg in die Sackgasse sicher erspart.

NABU Sachsen

Einladung und Programm Hrsg.: Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt
Einladung und Programm
Zum 3. Naturschutztag 1999
Download: Einladung und Programm (PDF)
Hrsg.: Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt

3. Sächsischer Naturschutztag


Begrüßung


Angela Zscheischler
BUND
Dr. Rolf Jähnichen
Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft
Holger Tschense
Bürgermeister Stadt Leipzig


Referenten


Prof. Dr. Wolfgang Schumacher
Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NRW
Wolfgang Riether
BUND
Dr. Olaf Bastin
Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Cordula Kinert
Sächsische Landesanstalt für Landwirtschaft
Ute Straßburg
BUND
Dr. Wolfgang Böhnert
Planungsbüro
Klaus Götze
Wassergut Canitz
Kathleen Bennewitz
NABU Sachsen
Günter Rötzsch
Schutzgemeinschaft Deutscher Wald
Thomas Dorn
Landratsamt Delitzsch UNB
Reinhard Kutter
NABU Sachsen
Erhard Uhlig
Kreisnaturschutzbeauftragter
Anette Körner
Stadträtin Bündnis 90/ Die Grünen
Matthias Scheffler
NABU SAchsen
Tobias Mehnert
BUND
Jan Schimkat
NABU Sachsen
Prof. Dr. Dieter Roth
Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft Jena
Helmut Ballmann
Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft


Exkursionen


Ralf Mäkert
NABU Sachsen
Inge Kunath
Amtsleiterin Grünflächenamt Leipzig


Moderation


Detlef Voppmann
MDR


Veranstaltungsort


Alte Handelsbörse
Naschmarkt 1 | 04109 Leipzig

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